Auf alten Seekarten findet sich der Hinweis: „Im Zweifelsfall gilt die Realität“. Das Buch zeigt einen ökonomischen Irrtum auf, der gleichermaßen offensichtlich wie unzweifelhaft der Realität zuwider läuft. Dennoch besteht der Irrtum fort und auf seiner Basis werden bis heute wichtige und für das Leben vieler Menschen folgenreiche Richtungsentscheidungen getroffen.
In den vergangenen Jahrzehnten hat die Politik immer wieder neu an die Bereitschaft der Menschen appelliert, Opfer zu bringen, um so unsere ökonomischen Rahmenbedingungen zu verbessern. Nur wenn es uns gelänge, auf unseren verlassenen Wachstumspfad zurückzufinden, könnten wir unsere größten Probleme mit Aussicht auf Erfolg angehen. Doch ein ums andere Mal hat sich herausgestellt: Es reicht nicht. Trotz aller Anstrengungen und unzähliger Reformen scheitern wir.
Wachstum spielt für jede Volkswirtschaft eine herausragende Rolle. Für Deutschland gilt dies noch einmal in besonderem Maße, denn nach dem Krieg wurde das „Wirtschaftswunder“ zum Gründungsmythos des neuen Staates. Doch durch die Fokussierung auf das Wachstum gerät unsere Wahrnehmung in eine Schieflage, es ist vor allem „die Schippe drauf, die zählt“. Das Kapitel zeigt, warum wir uns dadurch stets schlechter einschätzen als wir es eigentlich sind.
Wir streben nicht irgendein Wachstum an, sondern gewissermaßen die ‚Luxusversion‘ davon: Exponentielles Wachstum. Dies ist jenes sich beschleunigende Wachstum, vor dem die Wachstumskritik seit nun schon über vierzig Jahren so vehement warnt. Das Kapitel erklärt, warum die Wachstumsrate eine Maßeinheit mit „heimlicher Prämisse“ ist und warum Rekord auf Rekord folgen muss, damit wir den Eindruck haben, gleichbleibend erfolgreich zu sein.
Das exponentielle Wachstum, das in Ökonomie-Lehrbüchern zum Normalzustand erklärt wird und vor dem die Wachstumskritiker nun schon so lange warnen, existiert nicht. Außer in der Anfangszeit der Industrialisierung wachsen Volkswirtschaften linear. Hier wird belegt, dass dies sowohl für die Bundesrepublik gilt, die niemals in ihrem Bestehen exponentiell gewachsen ist, als auch für nahezu alle anderen Länder weltweit.
Egal ob es um die private Alterssicherung, die Sozialsysteme, den Staatshaushalt, die Arbeitslosigkeit oder um die Verteilung des Wohlstands geht: Die Auswirkungen des exponentiellen Irrtums sind umfassend. Wir haben viele unserer wichtigsten sozialen, ökonomischen und fiskalischen Systeme vom Eintritt einer Wachstumsdynamik abhängig gemacht, die es niemals gegeben hat. Uns fehlt der Joker, aber wir spielen weiterhin so, als hätten wir ein volles Blatt.
Obwohl die Wachstumsraten schon lange sinken, denken wir bis heute strikt innerhalb der Logik des exponentiellen Irrtums. Dieser verleitet uns zu einer vermeintlich alternativlosen Politik, die unsere Gesellschaft immer weiter in die Spaltung treibt. Das Kapitel erklärt, warum es uns wirtschaftlich nie besser ging und wir dennoch gleichzeitig nie zuvor in den letzten sechzig Jahren so sehr das Gefühl hatten, dass wir als Gesellschaft zu scheitern drohen.
Wie kann es sein, dass ein Irrtum von dieser Größenordnung und mit derart weitreichenden Folgen bis heute Bestand hat? Das Kapitel zeigt: Die Fehlannahme eines exponentiellen Wachstums ist ein Paradigma, das im Wege des normalen Wissenschaftsbetriebs nur schwer aufgeklärt werden kann. Und es waren ausgerechnet die Wachstumsgegner, die mit ihrer Kritik am Wachstum den exponentiellen Irrtum unbeabsichtigt gestützt haben.
Wenn es uns gelingt, den exponentiellen Irrtum zu überwinden, können wir Vertrauen in unsere Fähigkeiten zurückgewinnen. Wir können erkennen, dass wir heute nicht schlechter dastehen als in der Vergangenheit, sondern besser denn je. An die Stelle einer verzagt handelnden Politik, die populistischen Positionen immer größere Angriffsflächen bietet, kann endlich wieder ein entschlossenes Handeln treten, das die Herausforderungen mutig anpackt.
* auch erhältlich als Ebook
„Die Scheinkrise“ lenkt den Blick auf eine ökonomische Fehlannahme, die trotz ihrer Tragweite bislang wenig beachtet wird: Bereits in den 1990er Jahren haben erste Wissenschaftler darauf aufmerksam gemacht, dass moderne Volkswirtschaften nicht ausnahmsweise, sondern typischerweise einer anderen Wachstumsdynamik folgen als es gemeinhin angenommen wird. So wird bis heute implizit davon ausgegangen, dass Ökonomien im Normalfall exponentiell wachsen. Tatsächlich aber folgen nahezu alle modernen Volkswirtschaften in den vergangenen sechzig Jahren einem strikt linearen Trend und weisen so betrachtet ein äußerst stetiges Wachstum auf.
Diese Abweichung zwischen Theorie und Realität ist weit mehr als nur ein Kuriosum, hat dies doch überhaupt erst zu der Grundüberzeugung geführt, unsere Wachstumsdynamik lasse auf lange Sicht nach. Die Politik der letzten drei Jahrzehnte war daher auch von dem ständigen Zugzwang geprägt, die ökonomischen Rahmenbedingungen weiter zu verbessern. Mittels unzähliger Reformen haben wechselnde Regierungen versucht, unsere Wirtschaft zu stärken und der Bevölkerung dabei auch oftmals Opfer abverlangt.
Die Bilanz aber ist ernüchternd, denn allen Einschnitten zum Trotz sind die durchschnittlichen Wachstumsraten weiter gesunken. Viele Wahlversprechen konnten nicht eingelöst werden, ganze Bevölkerungsgruppen sind an den Rand gedrängt worden. Zurück blieben eine mutlose Politik, die lieber nicht handelt, als das vermeintlich falsche zu tun und eine Gesellschaft, die nicht mehr daran glaubt, dass wir unseren Herausforderungen gewachsen sind.
Das Buch belegt anhand konkreter Beispiele, wie weitreichende wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidungen getroffen werden, die in einer exponentiell wachsenden Wirtschaft rational und auch durchaus geeignet wären, Wohlstand für alle zu schaffen. Tatsächlich aber leben wir in einer Welt linearen Wachstums – und in dieser sind genau die gleichen Entscheidungen dann leider völlig falsch.
„Die Scheinkrise“ bietet damit eine neue Erklärung dafür an, weshalb Verunsicherung und Zukunftsangst in einem derart krassen Widerspruch zu unserer wirtschaftlichen Stärke stehen. Vor allem aber zeigt das Buch, warum die Politik viel mehr Gestaltungsspielräume hat als sie glaubt und weshalb wir eigentlichen allen Grund hätten, zuversichtlich zu sein.
Dr. Kay Bourcarde, Jahrgang 1978, leitet seit 2011 das Referat für Beschäftigungspolitik, Fachkräftesicherung und Arbeitsmigration im Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz. Von 2007 bis 2010 war er Mitglied der Arbeitsgruppe regierungsunabhängiger Experten der EU-Kommission zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung.
Dr. Karsten Herzmann, Jahrgang 1977, ist Verwaltungsrichter und Lehrbeauftragter der Universität Gießen. Im Jahr 2017 und 2018 war er Vertreter des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Geschichte des europäischen öffentlichen Rechts und Verwaltungswissenschaften an der Universität Osnabrück.
Die Autoren leiten ehrenamtlich das Institut für Wachstumsstudien, das sie gemeinsam mit anderen jungen Wissenschaftlern im Jahr 2003 in Gießen gegründet haben.
Beide wurden für ihre wissenschaftliche Arbeit ausgezeichnet, so etwa im Rahmen des Deutschen Studienpreises der Körber-Stiftung und des Dissertationspreises der Justus-Liebig-Universität Gießen.